Warum ich meine olivgrüne Arbeitshose so liebe

 

Based on a True Story

Lesezeit: 6 min

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Ich war neulich im Supermarkt und traf auf eine Bekannte, die dort arbeitet:

“Na, hast Du Urlaub?”

“Nee”, antwortete ich, “Homeoffice!”

“Ah, Gartenarbeit also.”

Wir tauschten uns noch eine Weile aus, lachten und verabschiedeten uns mit: “Bleib gesund!” Ich kam vom Einkauf zurück nach Hause, bestellte schöne Grüße, wir amüsierten uns nochmal über den Spruch und dann dann war das Ganze auch schon wieder fast vergessen.

Irgendwie aber auch nicht.

Der Spruch ging mir dann doch nochmal durch den Kopf.

War weg.

Kam wieder. War wieder weg.

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An diesem Wochenende hatten wir Gäste – natürlich auf Abstand, so gut es eben geht. Der Abend war lustig. ESC. Ich bin ja nicht so begeistert davon, aber ich hatte drei echte Fans neben mir sitzen. Standesgemäß zur Übertragung aus den Niederlanden gab es dann Frikandel und Bitterballen. Dazu Heineken 0,25l. Beste Größe.

Und irgendwie kamen wir dann – da war er wieder, der Gedanke – auf das Thema Homeoffice. Einer unserer Gäste arbeitet bei einem großen Unternehmen in Ostfriesland. Er wohnt in Oldenburg, braucht morgens 1 Std zur Arbeit. Abends nochmal 1 Std. zurück. Im Winter fährt er im Dunklen los und kommt im Dunklen zurück. Frustrierend ist das, sagt er.

Es war ein Riesenkrampf, bei denen im Büro durchzudrücken, dass er wenigstens an einem Tag in der Woche von Zuhause aus arbeiten kann. Sicherheitsvorschriften und so. Könnte ja jemand die Leitung hacken. Bitte darauf achten, es darf keine Schlafgelegenheit im Raum sein. Und überhaupt, der Laptop seiner Freundin DARF NICHT auf seinem Arbeitsplatz stehen.

Es hat über ein Jahr gebraucht, bis er das Go von der Firma bekommen hat. Das war noch weit vor Corona.

Er ist immer noch überglücklich über diesen Move und ist deutlich produktiver als zuvor. Vorher haben das wirklich nur Ausnahmen im dortigen Unternehmen zugestanden bekommen. Er arbeitet dort am Schreibtisch. An Texten. Ohne ständiges Gestörtwerden. Also eigentlich Idealvoraussetzung. Aber man wollte zunächst nicht so recht …

Dabei ist er ein Mensch, der selbstdiszipliniert und eigenständig arbeiten kann. Kann ja nicht jeder.

Manche Mitarbeiter brauchen eben diesen Druck, um wirklich Leistung zu erzeugen.

Mir war das nicht so klar, denn ich arbeite sowieso immer unter dem selbstgewählten Druck der Selbstständigkeit. Bei mir kommt der Antrieb von selbst. Also aus mir selbst heraus. Wirklich nachdrücklich deutlich ist mir der Unterschied erst geworden, als ich neulich Teilnehmer in einer Zoomkonferenz war, in der es um das Thema Homeoffice ging.

Dort wurden Tipps reingegeben, welche die Effizienz erhöhen. Welche Faktoren die fehlende Stimmung im Raum ins Virtuelle übertragen oder welche Ersatzalternativen es dazu gibt. War ne gute Sache, ich hab einiges davon mitgeschrieben.

www.villagecon.io #mittelstandsbiefing #villagecon

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In der Zoomkonferenz gab es zwanzig Teilnehmer und eigentlich eine einheitliche Meinung zu dem Thema: Homeoffice ist ne gute Sache.

Es gab nur eine Ausnahme: Ein mittelständischer Maschinen- und Anlagenbauer aus der Nähe von Osnabrück, der das Thema Homeoffice kategorisch ablehnt. Mit einer guten Begründung: Bei ihm arbeiten die 120 Mitarbeiter im 3-Schicht-Betrieb. Es ist so, dass von der Frühschicht zur Nachmittagsschicht die Arbeitseffizienz meßbar deutlich abnimmt. In der Nachschicht ist die Effienz nochmals massiv darunter gelegen. Er sagt, NUR MIT Eigenmotivation und OHNE Kontrolle läuft hier gar nix.

Druck ist also gut. Kontrolle auch. Zumindest in seinem Business.

Kontrolle? Druck? Ich kann mich noch recht gut an die Zeit bei der Markenberatung Interbrand in München erinnern. Was haben wir da für einen Druck gehabt, als wir für BMW gearbeitet haben. Wir mussten abliefern. Allerhöchste Qualität. Vom Allerfeinsten.

Auch wenn wir noch bis Nachts um 2 oder 3 Uhr an der Präsentation im Büro gesessen sind … am nächsten Morgen mussten wir um 9 Uhr wieder auf der Matte stehen. Der Büroleiter und Standortchef – sonnige Fuck-You-Very-Much-Grüße nach München – bestand darauf, dass man stets pünktlich um 9 Uhr seine Arbeit antrat. Auch gerne mit dem Finger auf dem Zeigerblatt. Was für ein Wixer!

Anm.: Das Münchner Interbrand Büro existiert mittlerweile nicht mehr. Ein Mitarbeiter hat die Initiative ergriffen, sich selbstständig gemacht und den Etat (und die besten Mitarbeiter) mitgenommen.

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Naja, aber irgendwie war ja das auf der anderen Seite auch ganz produktiv, wir haben tolle Mandanten und Etats gehabt, kamen in der Welt rum, wir haben Preise eingeheimst, wurden dafür beklatscht und bewundert. (Rückbetrachtet vollkommen bescheuert, DAS als Motivation zu nehmen.) Das macht man dann auch nur eine Zeitlang mit. Danach können sich die nächsten frischen Heißsporne ihre Hörner abstoßen.

Und derweil stellt man sich die Frage, wo stehe ich eigentlich? Also die Kernfrage nach dem #newwork im ursprünglichen Sinne.

Druck und Kontrolle ist also nicht immer so gut.

22 Jahre ist es her, seit dem ich meinen Diplomingenieur in Oldenburg absolviert habe. Ich war ein Semester eher fertig als mein Freund Markus und hatte schon meinen ersten Job. Mittags bin ich öfters zu ihm rüber, zusammen Essen oder so. Er wohnte direkt am Schloßplatz. Markus stand Mittags meist erst auf. Also klingeln und wecken und: “Raus, mien Jung!”

Markus war und ist ein Nachtmensch. Vor frühem Nachmittag kann man mit ihm eigentlich gar nix anfangen (Sorry, Markus). Dafür kocht er sensationell gut (Sorry, Anja) und er konnte dann auch bis spät Nachts arbeiten. Bis 4 oder 5 Uhr in der Früh war kein Problem für ihn. “Ey, das wurde schon wieder hell …” hörte ich ihn öfters sagen.

Einige brauchen eben dies, andere brauchen das.

Es gibt keine Idealform für das Homeoffice. Jeder muss das für sich herausfinden, was für ihn oder sie gut – und vor allem produktiv – ist. Der Eine will Musik nebenbei hören. Die Nächste kann mit Podcast nebenbei wunderbar produktiv sein (obwohl sie gar nicht hin hört). Oder es laufen auch mal die Simpsons nebenbei. Solls geben.

Ich kann das nicht. Ich krieg dann echt nix gebacken.

Ich kann aber superkreativ und megaproduktiv sein, wenn ich meine berühmten 2 Std. bekomme. Wann die sind? Kann ich nicht sagen. Kann ich auch nicht planen. Ich weiss nur, dass sie selten vor 10 Uhr morgens kommen. Also: Vor zweistellig extrakreativ arbeiten geht bei mir nicht. Merken!

Was ich für mich festgestellt habe, ist, ich brauche relativ wenig soziale Kontakte, aber ich brauche Struktur. Keine klaren Zeitpläne, an die ich mich zu halten habe. Bitte nicht. Das wäre kontraproduktiv. Es ist für mich schlichtweg nicht möglich, um 8 Uhr morgens auf Knopfdruck Unternehmer zu beraten und neue Geschäftsideen herauszupressen. Oder … Moment … das geht schon … aber dann ist es halt Scheisse.

Was ich brauche, sind ein paar Ankerpunkte im Tag. Beispielsweise der Kaffee morgens und das echte, wertschätzende Gespräch mit Anja. Ich brauche gedankliche Freiheit im Kopf. Und gelebte Flexibilität. Kann auch sein, dass mir mal schnell was durch den Kopf schießt und ich das mal sofort ausprobieren will. Deswegen die Arbeitshose. Im Homeoffice, wohlgemerkt.

Übrigens super stretchy und super bequem, und man hat warme Knie (Thanks to Kniepolster). Ich mag das. Bekommt man hier.

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Ich mache mir ganz gerne mal eine Kanne Tee so zwischendurch. Tee hat etwas Zeremonielles an sich. Das bewußte Zubereiten hat etwas Beruhigendes. Nicht schnell schnell schnell, sondern eben: bewußt.

Btw, was für eine supergute Lebensqualität ist das denn bitte, dass ich mir selbst meinen Tee aus dem Garten hole? Hallo?!?!!

Manchmal tut es auch gut, einmal, bevor man eine neue Aufgabe startet, kurz innezuhalten und 30 Sek. lang NICHTS zu tun. Ärzte machen das vor einer OP, hab ich gelesen. Das steigert die Erfolgsquote bei Operationen. Slalomskifahrer auch. Dann kann es ja auch für mich gut sein. Ausprobiert und für gut befunden. Check.

Ach ja, und ich brauche einmal Bewegung am Tag. 30 Min. etwa reicht schon aus. Raus, ab aufs Rad. Because … When in doubt, pedal it out. Danach bin ich ein anderer Mensch, sagt Anja.

Jeder braucht etwas Anderes. Sowas kann man nicht in Regelwerke pressen.

Ich kann ganz gut umgehen mit Homeoffice und so. Und dennoch merke ich für mich selber, dass ich mich in meiner Filterblase bewege, genau mit denen schlauen Vordenkern, die von den Themen ebenso umspült sind wie ich.

Die Dame im Supermarkt ist nicht in meiner Filterblase … und hat da ein ganz anderes Bild im Kopf, nämlich: Homeoffice = Urlaub.

Klar, jetzt kann man sich da jetzt drüber echauffieren und debattieren, aber hey, man muss die Leute dort abholen, wo sie stehen. Für sie ist das Thema Homeoffice weit weit weg, das machen nur die in den großen Firmen mit den großen Büros. Wie willste das denn auch umsetzen im Supermarkt. Geht ja gar nicht.

Joooaaaahhhhnööö, nicht so ganz richtig. Es geht im Kern ja nicht um das Büro an sich, sondern um das flexible und bedarfsgerechte Arbeiten. Also um die Beantwortung der Frage: “Was brauchst Du, lieber Mitarbeiter, um gut und gerne hier bei uns zu arbeiten?” Flexible Arbeitszeiten? Oder Dienstag- und Donnerstagnachmittag frei, weil dein Sohn in der Kaderauswahl 100 km weit weg spielt und Du ihn zum Training bringen musst? Oder Homeoffice, zum Beispiel?

Der Arbeitgeber sollte das möglich machen können, wenn er zukünftig zufriedene und glückliche Mitarbeiter haben will. Und so manch Einer kann das eben besser, für manch anderen Unternehmer ist das eben nix.

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Aber wir waren ja beim Homeoffice. Und was machen wir Deutschen? Nun ja … gefühlte Wahrheit … alles, was geregelt werden kann, muss auch geregelt werden. DIN-Normen und so. Arbeitsschutzgesetze. Lux-Werte! Wichtig. Müssen eingehalten werden! Das muss doch jetzt geregelt werden. Wir sind doch hier in Deutschland. Das Land der Dichter und Denker. Deutsche Ingenieurskunst. Da müssen Standards gesetzt werden. Jetzt!

Echt jetzt?

Dazu fällt mir ein Telefonat neulich mit einem Marketingleiter ein. Wir haben uns über laufende (oder eben auch nicht laufende) Projekte unterhalten und natürlich auch über die Coronakrise. “Jens,” sagte er, “Mein Sohn hat zwei Wochen, bevor der Mist hier losging, seine Bachelorarbeit abgegeben. Papa, das kann ich jetzt alles in die Tonne treten.”

Ich fragte, wieso? “Nun ja, alles, was an Gesetzen und Normen für einen optimalen Homeoffice-Arbeitsplatz da draußen beachtet werden muss(te), ist alles über den Haufen geworfen. Die sind froh, dass man irgendwie zuhause arbeiten kann. Da wird jeder Küchentisch zum Homeoffice gemacht … Die Bachelorarbeit ist wertlos.”

Ja, wir müssen flexibel sein.

Wenn ich sage, “wir müssen”, dann ist das eine echt üble Sache mit dem MÜSSEN. Ich meine hier die defizitäre Denke dahinter: Müssen ist ein Mangelzustand. Es bedeutet: Ich habe es noch nicht, aber ich hätte es gerne. Beispiel gefällig? Ich müsste mal wieder zum Fitnessstudio gehen. Wir müssten uns mal wieder gesünder ernähren. Du musst dringend mal wieder deinen Papa besuchen. 

Müssen verhindert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Selbstentwicklung aus diesem Mangelzustand heraus.

Besser wäre zu sagen ” Ja, wir denken flexibel.” Oder besser noch: “Wir sind flexibel.” Wenn das nicht möglich ist, kann man auch noch “Wir verhalten uns so, als wären wir flexibel” von sich geben. Nur so lässt es sich diesen Zustand überwinden und steht einer Veränderung in seinem Verhalten offen gegenüber. Oder einer Neuausrichtung. Oder einem Neuanfang. Oder, oder, oder …

Die Krise macht uns kreativ.

Und das, so meine Meinung, ist ein guter Aspekt an dieser Coronakrise. Sie lässt uns kreativ werden. Kreativ werden für neue Lösungen, für neue Sichtweisen und für neue Verhaltensweisen.

Die Krise ermöglicht Chancen zur positiven Veränderung, die ohne die Notwendigkeit nie angegangen worden wären. (Schliesslich sind wir ja alle Faultiere und Veränderung kostet Energie.) Und wir merken plötzlich, dass nicht alles voraus bis in Kleinste geplant werden muss. Sondern dass man einfach mal macht, und dann schaut, was funktioniert. Oder eben, was nicht funktioniert. Dann ändert man es eben. (Und nicht: Dann muss man es eben ändern.)

Und man hat plötzlich Zeit für die Frage: Wofür stehe ich und wofür halte ich meine Fahne hoch?

Wofür hälst Du denn die Fahne hoch, lieber Leser?

Sonnige Grüße

Jens



PS: Die Pfefferminze ist direkt aus dem heimischen, eigenen Garten. Gut, die Arbeitshose ist dabei ein bisschen übers Ziel hinaus geschossen. Außerdem: Als Gartenarbeit würde ich das wirklich nicht bezeichnen. Ich mag sie trotzdem.

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