Guck mal, Elmar hat ein neues Auto!

 

Based on a True Story

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Wir waren gerade mit dem Auto unterwegs. Es war irgendwo auf diesem langen Stück zwischen diesem Kreisel Bakum-Lohne-Vechta und Pöppelmann, da kam uns eine Reihe von Autos entgegen. Jedenfalls zuckte immer wieder ein Frontscheinwerfer dahinter hervor und man merkte, daß Einer zum Überholen ansetzen wollte. Der hatte es eilig.


Guck mal, Elmar hat ein neues Auto!


Man konnte schon von Weitem erkennen, daß es ein VW Golf der zweiten Generation war. Ey, wenn Du mit so nem Auto aufgewachsen bist, dann erkennst Du sowas einfach. Kultkarre!

Die Farbe war auch ganz gut zu erkennen … so ein wasserblauer-grünlicher Ton … nicht so meins … irgendwie so ne Mischung aus quietschebunt und Rostschutzfarbe. Nichts, was man sich so heutzutage für ne Autofarbe → aussuchen würde. Früher vielleicht. Aber heute doch nicht mehr.

Ich nenn es jetzt einfach mal: Petrol. Oder Aqua. Passt vielleicht besser.

Also Aqua.

Ich rief rüber zu Anja: “Guck mal, Elmar hat ein neues Auto!” Wir lachten beide herzlich, weil klar war, dass dieses Auto ganz bestimmt nicht Elmar gehörte. Geschweige denn, dass er drin gesessen hätte.


Elmar? Wer ist denn jetzt Elmar?


Elmar Schickling ist ein Visbeker Unternehmer. Er verleiht Arbeitsbühnen und Kräne, man bekommt bei ihm Radlader und Anhänger zur Miete. Guter Typ, bisschen durchgeknallt, aber nun gut. Sympathischer Typ.

Jedenfalls fahre ich morgens immer an seinem Geschäft Schicklings Arbeitsbühnen → vorbei. Da steht sie, die ganze Parade der Arbeitsgeräte, alle schön säuberlich aneinandergereiht und die, die man ausfahren kann, recken fröhlich ihre Greiferarme und Plattformen gen Himmel. Ein Paradies für jeden kleinen Jungen, der auf Bagger und son Zeugs steht.

Und nu? Was ist da so besonders dran? Die Farbe!

Alle Fahrzeuge haben dieselbe Farbe. Dieses Aqua. Bis in die letzte Ecke, bis ins letzte Detail penibelst auslackiert. Einig stehen sie da in Reih und Glied und präsentieren Zusammengehörigkeit. Wie eine Fussballmannschaft bei der Nationalhymne. Man spürt den Stolz und die Vorfreude, dass es gleich losgeht.

Das Geile dabei ist …


Du siehst irgendwo eine Arbeitsbühne in der Farbe und weisst, die kommt von Schickling.

Du siehst einen Kran, der sich übers Haus reckt … die Farbe … der kommt aus Visbek.

Du siehst einen Radlader an dir vorbeihuschen … Aqua = kommt von Elmar.

Das geht ja sogar schon so weit, dass, wenn man sich durch Instagram fräst und irgendwie dann doch kein Ende findet (dann biste im sogenannten Infinite Scroll Mode →) und trotzdem, beim immer weiter nach unten Scrollen … irgendwann scrollt man auch mal über Bilder von nem Kran … in der Farbe … und dann weisst Du, obwohl Du gar nicht genau gelesen hast, worum es geht: Das ist ein Kran von Elmar Schickling aus Visbek.

Ich meine, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Man sieht nur für einen Bruchteil einer Sekunde eine Farbe und weiß sofort, um wen es sich handelt.


Hat hier jemand Magenta gerufen?


Die, die das bis zum Erbrechen durchdekliniert haben, sind die Leute von der Telekom. Man kennt das ja selbst: Einen Shop der Telekom brauchst Du nicht suchen, den findet man sowieso schon von Weitem. Alles von der Telekom ist in Magenta angelegt. Websites, Werbespot, Merchandising, alles. Und die legen auf Konsequenz allerhöchsten Wert.

Das geht sogar so weit, dass sich der Konzern die Farbe Magenta hat schützen lassen. Es darf niemand Anderes auf dieser Welt Telefonprodukte in dieser Farbe anbieten. Sonst gibts was von den Anwälten aus Bonn auf die Finger. Aber mal so richtig.


Aber warum sind die so schrecklich konsequent? Das nervt doch.


Ganz einfach: Noch bevor man ein Motiv oder einen Text erkennt, nimmt man die äußere Form und die Farbe wahr. Keine Ahnung, ob das mit Evolutionstheorien im Zusammenhang steht, kennt man ja aber von sich selber. Und zwar genau dann, wenn man solche oder ähnliche Fragen wie diese hier gestellt bekommt.

Kennst Du die Marke, die so daherkommt als …

Ein brauner Paketlieferwagen?

Eine dunkelblaue oder dunkelgrüne Bohrmaschine?

Ein Laptop vor weißem Hintergrund?

Eine rote, gelbe oder blaue politische Partei?

Ein knalliges, rotes N auf dem Fernseher?


Kennste? Kenntste!


Farben schaffen Identität. Sie lassen einen mit dem Unternehmen, mit dem Haus assoziieren. Es sind Hausfarben.

Man erkennt die Unternehmenszugehörigkeit, sobald man die Farbe dem richtigen Haus zugeordnet hat, aber noch weit bevor man sich mit dem Produkt, geschweige denn mit den Inhalten auseinandergesetzt hat. Ich meine, traurig für die Parteien. Aber sonst so … hey, wie geil ist das denn, bitte?!??!?!


Na denn man los!

“Hab ich kapiert, lass uns damit anfangen. Wir sind mutig.” höre ich manchen Unternehmer sagen. Dann sage ich: “Warte mal kurz, wir haben zwei limiterende Faktoren dabei.”

  1. Reichweite: Du musst erst einmal eine relevante Reichweite haben, damit Du da draussen auch gesehen wirst. Wenn Dir deine Brandingagentur eine very unique Farbe verkaufen will, dann will sie wahrscheinlich auch nur eines: Dir die Farbe verkaufen. Ohne Reichweite braucht man keine aussergewöhnliche, differenzierende Farbe. Besonders nicht in der Social Media Welt, in der irgendwie dann doch alles gleich aussieht, weil dann doch ALLE anders sein wollen als alle Anderen.

  2. Penetration: Das Ding muss an jeder Ecke aufpoppen. An jeder Ecke. Social Media, Werbung, Anzeigen, Sportsponsoring, überall. Immer und immer wieder. Solange, bis es uns zu den Ohren rausläuft. Erst dann ist es soweit und es kommt so langsam bei den Kunden an, dass man eine Farbe mit dem Unternehmen in Verbindung bringt.


Das bedeutet, wenn Du keine Reichweite hast, brauchst Du auch keine besonders auffällige Farbe, die ausschliesslich und nur zu deinem Unternehmen gehört.


Klar soweit?


“Gelb. Das ist Jens!”

Meine Hausfarbe ist gelb. Das stimmt. Das hat aber auch nur einen einzigen Grund: Gelb hat den höchsten Kontrastwert → bei den Farben. Und damit ist es die sichtbarste Farbe, die es gibt. Deswegen: Gelb.


100% Gelb knallt am dollsten.


Nicht Blau. Nicht Rot. Auch nicht Grün. Sondern Gelb. Die Natur hat es so eingerichtet. Denkt nur mal an ein Rapsfeld. Oder reife Zitronen. Es ist eine Signalfarbe, die weithin sichtbar ist. Auch bei schlechten Lichtverhältnissen.

Auf dem Rollfeld eines Flughafens sind die Leitlinien in Gelb. Die Follow Me Fahrzeuge sind Gelb-Schwarz gecheckert. Warum? Gelb hat den höchsten Kontrast zu allen anderen Farben. Und ist deswegen am besten erkennbar. Ein echtes Sicherheitsthema.

Der Grund, warum ich die Farbe Gelb für mein Unternehmen gewählt habe, ist nicht, weil ich Gelb so mag. Gelb ist gar nicht meine Lieblingsfarbe.

Der Grund ist viel einfacher. Ganz banal eigentlich. Wenn man an der Großen Straße an der Ampel vor meinem Büro steht, dann schaut man abends gerne mal rein, was da so passiert. Die Küche, bzw. Bibliothek ist ganz hinten drin im Raum. Da ist alles Gelb: Die Wände, die Decke, der Fußboden, die Tische, Bänke, Schränke, alles Gelb. Warum? Weil die Farbe die Aufmerksamkeit und den Blick in den Raum reinzieht. Das ist alles.

Aber … ich hab es dann auch konsequent durchgezogen. Egal, was von mir kommt, Gelb ist mit dabei. Gelbes Briefpapier, gelbe Angebote, gelbe Rechnungen, alles Gelb. Wenn ich zum Kundenmeeting gehe: Gelbe Schuhe. Aufkleber auf dem Stoppelmarkt: Gelb.

Apropos Aufkleber. Zum Stoppelmarkt hatte ich die letzten Jahre immer wieder welche verteilt. Aber nicht nur so eine Handvoll.

Nö. Wäschewannen voll.


25.000 Stück. Pro Jahr.


Das Ergebnis? Ziemlich viele gut gelaunte Gesichter. Das noch bessere Ergebnis: Zu mir kommen mittlerweile Leute ins Büro und bringen mir Sachen mit. Einen gelben Pizzaschneider zum Beispiel (Danke Max!). Dinge, die sie im Urlaub entdeckt und gekauft haben. Oder ich bekomme Tips, wo ich gelbe Schuhe her bekomme. (Danke, Paul. Hab die Nike’s übrigens gleich gekauft. Love it.) Letztes Jahr hatten wir eine liebe Praktikantin (Hallo Julienne, komm doch mal wieder rein!), die hat uns zum Abschied einen ganzen Eimer voll gelber Sachen mitgebracht. Wrigleys, Socken, eine kleine Hantel als Spielzeug für den Hund, usw. Alles Gelb.

Sogar der Tannenbaum an Weihnachten ist gelb.


Hat der Jens ne Macke? Möglicherweise.

Erinnert man sich an ihn? Mit großer Wahrscheinlichkeit.

Weiß man, was er macht? Irgendwas mit Werbung.

Ja, so ungefähr. Stimmt zwar nicht ganz, aber jedenfalls ist das besser, als wenn ich ständig auf den Putz hauen müsste und rausplärre, was für tolle Buzzwords ich auswendig gelernt habe. Damit wäre ich wahrscheinlich wieder genau wie alle Anderen da draußen und würde im grauen Rauschen der Masse untergehen.

Nö. Ich finde, das geht besser.

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Ich fahre heute wieder vom Büro nach Hause, komme wieder an den ganzen fein säuberlich aufgereihten Kränen und Baggern in “Aqua” vorbei, da kommt mir ein Tesla entgegen, ziemlich sportliche Fahrweise, was ich so sehen kann … so aus dem Kreisel heraus. Ich hätte mich wahrscheinlich langgemacht dabei, so sportlich fahre ich selten. “Elmar”, denke ich mir, “Du bist zwar ein verrückter Hund, aber irgendwie machst Du das auch alles ganz richtig ...”


Sonnige Grüße

Jens